Immer diese Melodramatik. Warum auch nicht. Eine knackige Überschrift tut jedem Beitrag gut. Es geht hier heute um Social Media. Und um scheinheiligen Opportunismus.

Ich selbst wurde zwischen die „Generation Golf“ und die sogenannte „Generation MTV“ geboren. Meinen ersten PC hatte ich mit sechzehn. Einen Pentium 100. Damals das schnellste, was Escom zu bieten hatte. Das Internet war irgendwie da, aber schrecklich langsam. Sie erinnern sich? 56k-Modems…

Was ich Ihnen damit sagen will: Im Gegensatz zu den Kids von heute bin ich nicht mit Internet in DSL-Geschwindigkeit und auch nicht mit Social Media aufgewachsen. Eigentlich bin ich ganz froh darüber. Es ist mir herzlich egal, ob jemand meine Beiträge auf Facebook „liked“ oder eben nicht. Für mich zählen grundlegende Werte, die nichts mit dem Internet zu tun haben. In den USA soll es inzwischen Jugendliche geben, die zu einem Psychiater gehen, weil sie weniger als 200 Freunde auf Facebook haben. Das ist ein erschreckender Trend.

Die Macht der Medien, und erstmals die der privaten User in Anwendungen für Social Media, nimmt enorm zu. Vor allem steigt der Druck auf uns alle „dabei zu sein“ und möglichst cool auf Facebook & Co. rüberzukommen. Es scheint wichtig zu sein, möglichst viele Freunde online einzusammeln. Echte Freundschaften werden online „gepflegt“, was wiederrum kostbare Freizeit in Anspruch nimmt, die man in Freundschaften im “Real Life” stecken könnte. Absurd, nicht? Fast jeder von uns ist heute auf Facebook. Bis auf uns Twitterer. Wir hassen Facebook natürlich. Und wir würden nie zugeben, dass wir trotzdem einen Facebook-Account haben. Was aber nicht schlimm ist, da die meisten von uns anonym twittern.

Ich möchte an dieser Stelle kurz auf einen aktuellen Trend in der Werbelandschaft kommen, den ich gerne als die Reinform des Opportunismus bezeichnen möchte. Auf meiner Website war bis heute ein Twitter-Symbol. Letztes Jahr sah ich mich durch den Trend dazu genötigt, Flagge im Bereich Social Media zu zeigen. Denn Kunden wollen Agenturen und Texter, die multi- und social-medial kompetent sind. Junge, dynamische Kreative, deren iPhone ständig nervtötende Benachrichtigungstöne von sich gibt und die immer auf dem neusten Informationsstand sind. Diese Werber-Generation ist meistens Anfang bis Mitte Zwanzig, steht in der zweiten oder dritten Reihe einer Agentur und ist einfach hipp. Sie halten auf allen möglichen Veranstaltungen Vorträge zum Bereich Social Media und finden sich supertoll. Das merkt man auch. So wie Kunden und Medienwelt heute ticken, haben sie irgendwie ihre Daseinsberechtigung gefunden. Das heißt, Kunden zahlen für ihre Dienste gutes Geld.

Daneben gibt es die “alten Garden”, die nicht ganz so technikaffin sind und im fortgeschrittenen Lebensalter versuchen, Anschluss an das komplexe Thema zu finden. Die Generation, für die Internet zuerst ein notwendiges Übel zum Versand von E-Mails und später der Platz für eine interaktive Visitenkarte war. Bis vor wenigen Jahren lächelten diese Damen und Herren amüsiert über Online-Kampagnen und mit dem Begriff Social Media konnten sie schlicht und ergreifend nichts anfangen. Natürlich gibt es Ausnahmen. Ich selbst habe Agenturchefs im besten Alter kennenlernen dürfen, die nicht dem Trend hinterherhecheln, sondern als eine der Ersten Awards für beeindruckende Websites und kreative Online- und Social Media-Kampagnen abstaubten. Diese bleiben aber die bewundernswerte Ausnahme. Nicht jeder geht derart mit dem Zeitgeist und ist auch entsprechend technikaffin. Klar, alle haben iPhones und inzwischen auch iPads. Tolle Sache. Da falle ich mit meinem altgedienten Samsung-Handy auf, das immerhin schon E-Mails abrufen kann. Aber dieses Imponiergehabe mit den teuren Apfel-Spielzeugen ist und bleibt vor allem eines: eine große Show mit Statussymbolen.

Werber jeden Alters haben sich inzwischen bei mehr oder weniger kompetenten aber vor allem teuer bezahlten Social Media – Experten zum Nachsitzen eingefunden. Man feuert auf die Kunden aus allen Rohren mit Broschüren, die ums Verrecken beweisen sollen, dass man beim Trend-Thema Social Media ganz vorne mit dabei ist. Die Wahl des Mediums ist an dieser Stelle bezeichnend. Ein trauriges Bild. Erfahrene Kreative fühlen sich in die Ecke gedrängt und versuchen den Trend zu überleben. Dabei sollten sie sich lieber Gedanken darüber machen, wie die jungen Nerds sie bei ihrer Hauptkompetenz unterstützen können: denn in der Kreation von guten Kampagnen mit sensationellen Ideen für die Werbung macht den erfahrenen Werbern niemand etwas vor. Warum müssen sie sich für das Social Media – Thema so verbiegen?

Jeder Popel-Marketingclub hatte inzwischen einen Social Media – Kongress. Man muss halt. Auch wenn sich die Moderatoren auf solchen Events mit diesem “Hype” sichtlich schwer tun und die ganze Sache nicht so richtig zu durchschauen scheinen. Brauchen sie auch gar nicht! Mein Gott, die sind doch schon froh, wenn sie irgendwie ihr Outlook mit dem Smartphone synchronisiert bekommen! Was soll also die ganze Show? Sie sollten lieber ein Team bilden mit den echten Experten für das Thema. Schließlich haben für die Erstellung von Websites auch nicht alle Agenturchefs angefangen, HTML-Kurse zu buchen. Stattdessen hat man Programmierer eingekauft, was absolut sinnvoll war.

Eine Kampagne sollte Social Media immer berücksichtigen, sich aber nie alleine auf die neuen Medien verlassen. Vernetzt denken können Werber jeden Alters. Wozu gibt’s denn Nerds? Sollen sich die Werbeprofis doch ihre Leute regelmäßig einbestellen und den aktuellen Werkzeugkasten zeigen lassen. Sie selbst entscheiden, welches Werkzeug sie wo und wie genau einsetzen wollen und lassen die Ausführung eben von denen machen, die es am besten können. Das ist nur vernünftig.

Was hat das jetzt mit meinem Twitter-Account zu tun? Nun, inzwischen stelle ich mir die Frage, ob wirklich jedes Unternehmen einen Twitter-Account braucht. Selbst eine persönliche Seite auf Facebook muss nicht Pflicht sein. Die Gewinner werden in Zukunft die sein, die zwar geniale Kampagnen und Fanpages für ihre Agentur, Firma oder Produkt auf Facebook & Co. erfolgreich platzieren, sich aber privat heraushalten. Ich will gar nicht wissen, mit wem Max Megawichtig alles bekannt ist. Ich finde es äußerst bedenklich, dass Personen wie die Ministerpräsidentin des Saarlandes über 2.500 „Freunde“ auf Facebook hat und was sie auf diesem Account alles preisgibt. Warum bedenklich? Fragen sie einmal einen Sicherheitsberater: Hinz und Kunz kann inzwischen von Personen des öffentlichen Lebens anhand deren eigener Angaben in Social Media – Anwendungen Bewegungsprofile erstellen.

Für manche Dienstleistungen von Facebook, Apple & Co., die mit geografischen Daten ihrer User arbeiten, hätten wir zu seiner Amtszeit Innenminister Schäuble aus dem Amt gejagt. Der Unterschied ist, dass die Nutzer ihre Informationen freiwillig oder besser gesagt blauäugig preisgeben.

Zurück zu Twitter. Um Nachrichten oder Meldungen schnell zu verbreiten, ist Twitter unschlagbar. Für Marken, Weltunternehmen, Personen des öffentlichen Lebens oder Promis ist Twitter hervorragend als kostenloses PR-Instrument geeignet. Die Agentur um die Ecke hat aber auf Twitter nichts verloren. Was? Wie bitte? Ja! Es sei denn, sie hat genügend Geld, einen für Twitter begeisterungsfähigen Angestellten inhouse zu beschäftigen. Dieser muss ihr Geschäft und vor allem die Kunden verstehen. Einer, der täglich mindestens zwei bis drei Stunden seiner Arbeitszeit in Twitter steckt. Ohne einen wie auch immer gearteten Mehrwert für die Follower zu schaffen und ohne kontinuierliche Content-Generierung ist Twitter vergebliche Liebesmühe. Follower sind schwerer einzufangen, als scheues Rotwild. Jäger wissen jetzt, wovon ich spreche. Das Halten der Follower ist noch eine Stufe komplexer. Eine Wissenschaft für sich, die man nur ausgemachten Twitter-Nerds und solchen, die es werden wollen, anvertrauen sollte.

Social Media in all seinen Formen unbedingt mitmachen zu müssen, ist eine opportunistische Haltung, von der ich genug habe. Der Tod meines “offiziellen” Twitter-Accounts ist für mich eine einfache Rechnung: mit geringem Aufwand habe ich auf meinem Twitter-Account „Der_Texter“ knapp 120 Follower „eingefangen“. Der Content mit Meldungen aus der Werbewirtschaft war okay – aber nicht originell. Für richtig guten Content bräuchte ich wesentlich mehr Zeit, Ausdauer und ein kontinuierliches Konzept. Social Media-

Aktivitäten sind Zeitfresser, die ihresgleichen vergeblich suchen.

Also: entweder ganz oder gar nicht.

Zum Test dieses “gar nicht” habe ich seit ca. vier Wochen nichts mehr gepostet. Inzwischen ist die Follower-Zahl auf unter 100 gesunken. In weiteren drei Wochen wird sie vermutlich bei unter 50 liegen und sich irgendwann bei 30-40 toten Accounts einpendeln, die noch folgen. Deshalb wird mein Twitter Channel sterben. Weil ich keine Lust dazu habe, in etwas Zeit zu investieren, das in meinem Fall keinen effektiven Nutzen bringt, sondern lediglich wertvolle Zeit kostet. Ich kenne Mechanismen und Möglichkeiten von Social Media und kann Content für unterschiedliche Medien generieren. Dafür brauche ich keinen offiziellen Twitter-Channel. Allerdings wäre ich auch nie so frech, mich als „Experten“ für dieses komplexe Thema zu bezeichnen. Das gleiche sollten sich viele Unternehmen und “professionelle” Anbieter überlegen, die mit Twitter und Social Media im Allgemeinen mehr Mühe als Erfolg haben.

Die alte Garde muss ich in einer Hinsicht, die sie heute selbst leider nicht mehr ganz so offensiv vertritt, voll und ganz Recht geben: Wichtig bleiben im Web vor allem eine saubere Website, die dem „State oft he Art“ entspricht. Mit aktuellen (!) Neuigkeiten, einem Blog oder lustigen Fotostories ist das schon ziemlich gut. Vielleicht ja sogar mit aktuellen Firmen-Videos? Es muss nicht unbedingt ein RSS-Feed oder sonstiges Social Media – Angebot verlinkt sein. Außer, Sie sind eine Agentur, die Social Media – Dienste anbietet. Wenn Sie aber als solche einen Twitter-Channel mit weniger als 500 Followern betreiben, wird’s wiederrum peinlich… auf meinen privaten Channel, den ich zum Spaß weiter pflegen werde, habe selbst ich deutlich mehr. Und genau das ist der Punkt. Twitter macht den Usern Spaß. Firmen und Selbstvermarkter nerven die User. Es sei denn, es sind echte Big-Player, die nicht versuchen Geld zu verdienen, sondern wie der Account „Telefom_hilft“ einen guten Service oder zeitnahe Infos anbieten. Nicht zu vergessen alle Comedians, Stars und Sternchen: sie betreiben über Twitter eine sehr gute Imagepflege. Oder sie lassen diese betreiben. Von echten Experten.

Nach meiner Erfahrung gibt’s ergänzend zur klassischen Werbung folgende Erfolgsformel: super Website, gezielte SEO-Maßnahmen von Experten sowie Online-Marektingkampagnen mit Einbeziehung von Microsites und der eigenen Webiste sowie nach wie vor  Google AdWords. Wer unbedingt Social Media haben will: zurzeit sind Facebook-Fanpages sehr wirksam, wenn sie professionell aufgezogen werden. Werbung auf Facebook sollte dagegen in jeder Kampagen berücksichtigt werden, da die Zielgruppenselektion gezielter nicht sein kann. Es lebe die Blauäugigkeit der User.

R.I.P – Twitter. Zumindest geschäftlich.

Beste Grüße aus dem Kreativbüro

Ihr Texter Stefan Thönes

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